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Natur + Wissenschaft

Rot ist besser als Blau – Unsere Vorliebe für warme Farben

Einige Aspekte der Farbwahrnehmung haben es bereits angedeutet: Unser visuelles System bevorzugt auf unterschiedliche Weise das langwellige Ende des Spektrums und die dort verorteten wärmeren Farben. Dies wird am stärksten deutlich in der großen Anzahl der M- und L-Zapfen und ihren dicht beieinander im mittel- bis langwelligen Bereich liegenden Empfindlichkeitsgipfeln, in der hohen Detailauflösung der Fovea centralis, die ausschließlich auf Informationen von M- und L-Zapfen beruht und nicht zuletzt auch an der großen Bedeutung, die wir den angenehm warmen Farbtönen emotional beimessen. Manche Biologen sehen den Grund für diese Bevorzugung in der gesteigerten Unterscheidungsfähigkeit zwischen den zumeist roten Früchten, die unseren Ahnen lange als Nahrung dienten, und der grünen Umgebung des Dschungels. Da sich unsere Vorfahren aber schon immer von mehr als Obst und Beeren ernährt haben und anderen erfolgreichen Wirbeltierarten diese Präferenz fehlt, dürfen wir mit einigem Recht vermuten, daß es einen anderen Hintergrund dafür gibt. Ein kurzer Ausflug in die Optik weist uns den Weg.

Schema der Chromatischen Aberration in der Optik

Mit der chromatischen Aberration stellt sich nämlich ein gewichtiges optisches Problem, wenn ein großes Auge eine Empfindlichkeit für einen weiten Bereich des Spektrums entwickelt. Bei diesem Begriff werden die Objektiv-Experten hellhörig, was? Denn richtig, dasselbe Problem stellt sich auch den Konstrukteuren unserer Aufnahme-Optiken. Wenn Licht durch eine Linse tritt, wird der kurzwellige blaue Anteil stärker gebrochen als der langwellige rote, so daß das blaue Abbild in einem Punkt vor dem roten Abbild fokussiert. Unkorrigiert würde das Bild überlappende Farbränder zeigen, die vor allem die Kanten zwischen hellen und dunklen Flächen verwischen, Auflösung und Schärfe wären stark beeinträchtigt. Die Kollegen Ingenieure beugen diesem Abbildungsfehler mit mehr oder weniger komplexen Linsenkonstruktionen vor, deren einfachste aus einem konkaven (nach innen gewölbt) und einem konvexen (nach außen gewölbt) Doppel besteht. Die Linsen unserer Augen sind konvex. Um ihnen den beschrieben Farbfehler abzugewöhnen (sie also achromatisch zu machen), müsste ihre Brennweite länger sein, als es der Augendurchmesser zulässt. Biologisch ist dieser Weg aufwendig und damit wenig ökonomisch. Der längere, mehr gelb-rote, Bereich des Spektrums muss unter den gegebenen Voraussetzungen aber weit weniger stark gebrochen werden, um ein scharfes Bild zu liefern und verlangt damit nach einer weniger perfekten Optik.
Die Evolution löste das optische Problem, welches die Farbfähigkeit unseres Sehsystems mit sich brachte, demzufolge nicht mit einer komplizierteren Augenkonstruktion, sondern mit verschiedenen Anpassungen der beteiligten Funktionseinheiten, die alle ein Ziel haben: den nachteiligen Effekt der kürzeren Wellenlängen auf die Abbildungsqualität zu mindern und die Kantenschärfe zu erhöhen. Bestandteil dieses Maßnahmen-Korbs sind die Abmessungen des Auges, die in allen Bereichen darauf abgestimmt sind das beste Bild im mittel- bis langwelligen Bereich zu entwerfen. Ein wenig weiter innen filtern die leichte Gelbfärbung der Linse und der dünne, ebenfalls gelbe, Pigmentschleier über der Fovea centralis den kürzeren Teil des Spektrums effektiv aus. Auf der Ebene der Photorezeptoren sorgt die Anordnung der Pigmentscheiben in ihrem Innern dafür, daß diese so wenig wie möglich auf von der Seite einfallendes Licht reagieren. - Am stärksten zur Seite gestreut werden die kürzeren, blauen Anteile. Die exklusive Bestückung der Fovea centralis mit für den mittel- und langwelligen Bereich empfindlichen Rezeptoren (andersherum die Verbannung von kurzwelligen S-Rezeptoren aus derselben) sorgt für garantierte Schärfe, wo diese am dringendsten gebraucht wird. Und das gleichzeitige Zusammenrücken der Empfindlichkeitsmaxima dieser Sinneszellen minimiert den Farbkontrast. Tiefer in der Retina sorgt die Abkoppelung der Helligkeits- von der Farbinformation, wie sie die Verarbeitung in den Gegenfarbenzellen besorgt, dafür, daß die Farbe einen möglichst geringen Einfluss auf die Qualität des Bildes hat. Diese Anpassungen ermöglichen der Fovea sowohl in kontrastarmen als auch kontrastreichen Situationen eine erstaunliche Effektivität in der Unterscheidung von Kanten und Grenzflächen. Und ohne sie wären Sie heute kaum in der Lage jene enorme Mustererkennung zu leisten, die nötig ist, um die Buchstaben auf diesen Seiten zu lesen.

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