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Was es mit der Konturenschärfe auf sich hat

Wie scharf, wie klar und deutlich uns die von den engstehenden Photorezeptoren der Netzhaut fein gerasterten Objektkanten erscheinen, hängt vom Erregungszustand der Center/Surround Zellen ab. Ihr Ausgabesignal ist umso größer, je geringer die Hemmung im Zellrand ausfällt, je größer also der Helligkeitsunterschied/Kontrast auf den beiden Seiten der Objektkante ist. Damit ist es an der Zeit, mal einen genauen Blick auf diesen ominösen Typ Ganglienzellen zu werfen. Am besten beginnen wir mit einem praktischen Beispiel.
Betrachten Sie einmal Abb. 1. Da ist eine Abfolge von Flächen unterschiedlicher Graufärbung dargestellt, die in sich keine Farbgraduierung besitzen. Trotzdem fällt Ihnen sicher auf, daß die einzelnen Streifen als Verläufe von hell nach dunkel erscheinen und der Helligkeitsunterschied an den Grenzen verstärkt ist. Dieser Effekt wird nach seinem Entdecker, dem Physiker und Philosophen Ernst Mach (1838-1916), als Machsche Streifen bezeichnet und es war lange unklar, wie sie entstehen.

Machsche Streifen

Abb. 1 Machsche Streifen

Die Erklärung und gleichzeitig die Erkenntnis, daß Sehen mehr ist als die bloße Beförderung des Retinabildes an eine Stelle im Gehirn an der es betrachtet wird, haben wir Stephen Kuffler (1913-1980) zu verdanken. Seine Forschungen brachten den Beweis dafür, daß Sehen ein Prozess der Informationsverarbeitung ist, denn er entdeckte in den 1950er Jahren den ersten und wichtigsten Schritt dieser Kaskade. Er zeichnete die Aktivität retinaler Ganglienzellen auf und stellte fest, daß er sie mit kleinen Lichtpunkten zum „feuern“ anregen konnte. Natürlich war schon lange klar, daß das Auge auf Licht reagiert, aber Kuffler ging sehr systematisch vor und erkannte, daß die Zellen umso besser reagierten, je kleiner der reizende Lichtpunkt war. Aus dem Umstand, daß große Punkte weniger effektiv waren als kleine, schlußfolgerte er, daß die Ganglienzellen durch das auf die Zentren ihrer rezeptiven Felder einfallende Licht nicht nur erregt, sondern gleichzeitig gehemmt wurden, wenn Licht auf die unmittelbare Umgebung der Zentren fiel (Kuffler 1953).

Schema einer Center/Surround Zelle

Abb. 2 Schema einer Center/Surround Zelle

Dieser Zellorganisation wird Center/Surround genannt und ist von fundamentaler Bedeutung für die Reizverarbeitung im Nervensystem, denn sie macht die Zellen empfindlich für die Unterbrechungen der Lichtmuster im Retinabild (die Kanten und Grenzflächen der Objekte) und unempfindlich gegen Änderungen der absoluten Lichtmenge bzw. deren stufenweise Veränderung, die beide von weniger großer Bedeutung sind. Eine ganze Anzahl visueller Wahrnehmungen, beispielsweise Helligkeit, Farbe, Bewegung und räumliche Tiefe basiert auf der Center/Surround Organisation.

Schema der Center/Surround Verarbeotung

Abb. 3 Schema der Center/Surround Verarbeitung

Mit der Center/Surround Organisation lassen sich die Machschen Streifen anhand Abb. 3 wie folgt erklären: Zelle A wird durch den im Vergleich dunkelsten Streifen am wenigsten erregt. Das rezeptive Feld von Zelle B fällt dagegen auf den hellsten Streifen, wodurch sie am stärksten erregt wird. Das positiv auf Lichteinfall reagierende Zentrum von Zelle C fällt vollständig in den dunkelsten ersten Streifen, ihr negativ reagierendes Umfeld liegt demgegenüber zu einem Teil innerhalb des etwas helleren zweiten Streifen. Aus diesem Grund generiert das Umfeld eine hemmende Reaktion, die die Zelle im Ergebnis einen dunkleren Streifen sehen läßt als jene Zellen, deren rezeptive Felder komplett innerhalb desselben Streifens liegen (beispielsweise Zelle A). Das umgekehrte Phänomen erkennen wir an Zelle D. Ihr positiv auf Licht reagierendes Zentrum liegt ganz im dritten hellsten Streifen, ihr negativ antwortendes Umfeld zu einem Teil im dunkleren Mittelstreifen. Auch hier generiert das Umfeld eine hemmende Reaktion, die die Zelle diesmal einen helleren Streifen „sehen“ läßt als Zelle B.

Ganz präzise ist die Kontrastverstärkung (daß die Innenkanten dunkler und die Außenkanten heller erscheinen) an den Grenzen zwischen den einzelnen Streifen in Abb. 19 auf die Konkurrenz zwischen Zellen, deren rezeptive Felder ganz innerhalb eines Streifens liegen und solchen, deren rezeptive Felder zu einem Teil im jeweils anderen Streifen liegen zurückzuführen. Die wahrgenommenen Helligkeitsverläufe innerhalb der Streifen rühren daher, daß die Zellen mit zunehmender Entfernung zur Kante immer weniger und irgendwann gar nicht mehr von ihrem Umfeld gehemmt werden und so eine feine Treppenbildung entsteht.

Abb. 4 zeigt ein Beispiel dafür, wie wir die Center/Surround Organisation durch einfache Kontrasterhöhung an einer Kante nutzen können, um die wahrgenommene Schärfe zu steigern. Die hellgraue Linie auf der linken Seite zeigt den direkten Übergang zum dunkelgrauen Hintergrund und ist damit so scharf gezeichnet, wie es die Auflösung erlaubt. Die rechte Linie ist dagegen mit einem 1 Pixel breiten dunklen Übergang auf der Außenseite und einem ebenfalls 1 Pixel breiten hellen Übergang auf der Innenseite versehen (siehe Vergrößerung unten). Dies mindert zwar die Auflösung und damit die tatsächliche Schärfe, weil der Übergang nun über einen breiteren Bereich stattfindet, befördert aufgrund des größeren Kontrastes aber die wahrgenommene Kantenschärfe.

Kontrasterhoehung an einer Kante sorgt fuer groeßeren Schaerfeeindruck

Abb. 4 Größerer Schärfeeindruck durch Kontrasterhöhung

Literatur

Kuffler, S.: Discharge patterns and functional organization of the mammalian retina. Journal of Neurophysiology Nr 16 (1953)

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